Samstag, den 29. Mai 2010 11:36 Alter: 10 Jahr(e)

Tornado wütete in einem Streifen von Mühlberg bis Radeberg

Kategorie: Radeburg und Umgebung

VON: KROEMKE

Am Pfingstmontag, dem 24. Mai ca. 15:20 bis ca. 16:00 Uhr verwüßtete ein lineares Unwetter einen Landstrich - mindestens von Mühlberg bis Radeberg, vielleicht sogar von Wittenberg bis Pardubice (CZ). In Großenhain starb ein sechsjähriges Mädchen.


Der Waldpark auf dem Kupferberg ist praktisch nicht mehr existent.


Die Bockwindmühle in Ebersbach nahm ebenfalls Schaden

Die Bahn der Verwüstung

Das Unwetter zog auf einer Breite von wenigen Kilometern eine Bahn von mindestens 70, möglicherweise sogar 300 km Länge. Wahrscheinlich ist, dass es sich um eine Gruppe mehrerer Tornados handelt, die aus einer Gewitterzelle stammen - oder möglicherweise zwei, die sich zu einer vereinigten.

In Großenhain starb ein Mädchen durch einen umstürzenden Baum, insgesamt gab es nach den vorliegenden Medienmeldungen etwa 40 Verletzte. Die Stärke des Ereignisses lag in mehreren Abschnitten mindestens im oberen F2-Bereich der Tornado-Skala. Ob vereinzelt bis zu Stärke F3 erreicht wurde, ist derzeit noch nicht geklärt. Auch ob es sich bei dem Ereignis um einen (oder mehrere) Tornados oder um ein anderes Wetterphänomen (z.B. Downburst) handelt, wird derzeit noch untersucht.

Das Drama beginnt in Wittenberg an der Elbe. Beim Einsturz eines Baugerüstes in der Lutherstadt wurden vier Menschen, daunter zwei Schweizer, zum Teil schwer verletzt.  Auch in anderen Teilen des Landkreises Wittenberg und in Anhalt hinterließ der Sturm unübersehbare Verwüstungen. In der Dübener Heide stürzen zahlreiche Bäume um. (Quelle)

In der Nähe von Gräfenhainichen gelingt die bisher einzige bekannte Aufnahme eines sich bildenden Tornados. Ansonsten ist der oder sind die Tornados hinter dem Wolken- und Regenvorhang versteckt. Danach überzieht der Sturm Nordsachsen. Staritz, Puschwitz, Plotha und Liebersee melden schwere Zerstörungen an Gebäuden, der Strom fällt aus. (Quelle)

Besonders schwer trifft es schließlich Mühlberg. Vom Kirchdach fällt die Spitze. Es ist ein Wunder, daß es nicht zu Personenschäden kommt. (Video)

Das Unwetter zieht weiter über Jacobsthal, bei Bauda knickten drei Strommasten um. Im Ort selbst werden nahezu alle Häuser abgedeckt. Der Ort gleicht einem Schlachtfeld. Ein ähnliches Bild des Grauens in Kleinthiemig - und dann, in Großenhain, erreicht der mutmaßliche Tornado seinen grausamen Höhepunkt. Ein Mädchen stirbt, das die Mutter nicht mehr rechtzeitig aus dem Auto hohlen kann, bevor ein Baum in das Auto einschlägt. Die Rettungskräfte bemühen sich stundenlang vergebens um das Leben des Kindes. In Großenhain drohte ein Wohnblock auf der Elsterwerdaer Straße einzustürzen; die Bewohner mussten in Sicherheit gebracht werden." (Quelle)

Der Schornstein der Großenhainer Papierfabrik stürzte ein. Am Anschluss des zweiten Bauabschnittes der Ortsumfahrung versperrte ein umgestürzter Kran die B101 komplett. (Quelle)

Bürgermeister Burkhard Müller sieht 15 Jahre seiner Arbeit vernichtet. Die im Rahmen der Landesgartenschau entstandenen Grünanlagen wurden zu einem Großen Teil vernichtet. Der Waldpark auf dem Kupferberg ist praktisch nicht mehr existent (Foto).

Weiter zog das Unwetter über Rostig und Reinersdorf. Im Ortsteil Rostig sollen ganze Schuppen aus der Erde gerissen worden sein. (Quelle) In Reinersdorf wurden Dächer abgedeckt, Bäume umgeworfen, ein Carport aus der Verankerung gerissen und ein Wohnmobil zerstört.

Die zum Mühlentag geöffnete Bockwindmühle in Ebersbach, in deren Bereich sich bei Eintreffen des Sturms noch über 100 Besucher befanden, brach die 6 Tonnen schwere Flügelwelle und wurde um etwa einen Meter aus den Lagern geschoben. Auch andere Teile wurden beschädigt oder zerstört. Der Heimat- und Mühlenverein schätzt ein, daß die Beschädigungen stärker sind als beim Orkan Kyrill vor drei Jahren. Zum Glück wurde niemand verletzt (Foto). Auf dem Zweitannenweg zwischen Ebersbach und Rödern wurde eine Gruppe von Radfahrern erfaßt und aufs offene Feld geschleudert (Berichte der Geschädigten).

Als nächste größere Ansiedlung wurde Radeburg erreicht. Am Großenhainer Platz gabelte sich der Sturm zu drei Zweigen, vielleicht aufgrund der Bauweise. Ein Zweig folgte dem Lauf der Promnitz und warf einzelne Bäume um (Bild).

Dann wütete er im Heinrich-Zille-Hain. Die seit langem pflegebedürftigen, für Parkanlagen viel zu hohen Bäume fielen reihenweise um (Bild). Am Ostende des Parks kam es anscheinend zu einer Verwirbelung, denn hier ist der einzige Platz in Radeburg, an dem die Fallrichtung auch von der Zugrichtung des Sturms abwich (Bild). Dadurch kam es hier auch zu einem Schaden an einem Gebäude und ein Baum fiel auf ein Auto (Bild). von einem Baum getroffen und schwer beschädigt wurde die Jugendeinrichtung "Zappelbude" (Bild). Der "Nebenarm" des Sturms hob noch ein Hallendach auf der Bahnhofstraße ab und verlor sich dann.

Der mittlere Zweig zog über die Hauptverkehrsachse in Richtung Markt. Beschädigte den Hirsch und die Apotheke, dann auch noch das Kirchendach und riß an der Einmündung der Radeberger Straße in die Heinrich-Zille-Straße eine dicke Linde um.

Ein unerklärliches Phänomen sind die Verwüstungen auf der Schulstraße, weil hier beträchtlicher Schaden losgelößt von den anderen Zweigen entstanden ist. Die benachbarte Dresdner Straße ist schadensfrei. Vielleicht ein Fallwind? Jedenfalls kippten hier mehrere Bäume um - einer knickte sogar ein Verkehrsschild und riß eine Stromleitung mit. Der Zweig tobte sich in den Friedhöfen aus. Zahlreiche Bäume wurden entwurzelt oder abgeknickt. Die Friedhöfe mußten gesperrt werden. Der Zweig verlief sich danach oder vereinte sich wieder mit dem "Hauptweig". der an der Röder blieb.

Der Haupztzweig entlang der Röder zog die Allee am Badergarten stark in Mitleidenschaft. Mehrere Bäume fielen mit einheitlicher Fallrichtung. Gegenüber, am Hofwall, ein identisches Bild. Auch im Röderbogen fielen die Bäume reihenweise. Anschließend, an der Würschnitzer, brachte eine Linde eine Bruchsteinmauer zum Einsturz, fiel selbst aber nicht. Eine weitere fiel dafür in das gegenüberliegende Grundstück. Dort, wo vor der Stauanlage Röder, Würschnitzer Straße und Autobahn parallel verlaufen, fiel eine Linde in eine wassertechnische Anlage. Die gegenüber stehende Eiche, ein Naturdenkmal, brach auseinander. Dort, wo die Würschnitzer über die Autobahn führt, fielen drei Pappeln aus dem Sportplatzgelände auf die Autobahn und veruirsachten im Pfingstrückreiseverkehr einen Stau.

Ein vierter Zweig, der wie aus dem Nichts gekommen zu sein scheint (da es vorher in Rödern keine nennenswerten Schäden gibt) "erschien" auf Höhe der Waldrose, warf einen Baum auf die Königsbrücker und einen "an der Wanne" auf die Zschornaer Straße. Der vierte Zweig sorgte an der Glasstraße für weitere Schäden. ""Die Glasstraße zwischen Radeburg und Boden sind unpassierbar," berichtete Herr Wolf, ein Anwohner. Der vierte Zweig scheint sich anschließend in der Röderaue hinter Großdittmannsdorf mit dem "Hauptzweig" wieder vereint zu haben, um in Medingen noch größeres Unheil anzurichten.

Der Hauptzweig zog weiter über den Lindenplatz und über die Autobahn, verursachte dort weitere Schäden an Bäumen und Bauwerken. Die nächsten schweren Treffer mußte das Rittergut Boden hinnehmen. Auf dem gegenüberliegenden Ufer kommen sich die Radeberger Straße und die Röder an einem Steilhang besonders nahe. Durch das Wegbrechen von Bäumen droht hier möglicherweise sogar ein Abrutschen des Hanges.

Auch in Großdittmannsdorf wurden Dächer in Mitleidenschaft gezogen. In der sich anschließenden Aue werden Bäume in die Röder geworfen und stauen das Gewässer an. Vor den Medinger Bergtannen, einem Felsmassiv, um das die Röder einen Bogen macht, setzt das Unwetter noch mal zu einem Tornado an. Man sieht es an den unterschiedlichen Wurfrichtungen der Bäume. Die Bergtannen selbst, die ein Hindernis für den Tornado bilden, werden massiv beschädigt. Hier sind Bäume zu finden, die wie Korkenzieher in sich verdreht sind, was für einen Tornado spricht.

Bewertung des Ereignisses

Noch ist offen und wird von Fachleuten heiß diskutiert, womit wir es zu tun hatten, obwohl in den Medien überwiegend von einem Tornado gesprochen wird. Dagegen spricht, daß niemand wirklich einen "Schlauch" gesehen hat. Das kann daran liegen, daß er hinter Regen und Wolken versteckt war oder daß die Wolken sehr tief lagen. Typisch für einen Tornado ist, daß die Fallrichtung der losgerissenen Objekte sehr unterschiedlich ist. Ist die Fallrichtung überwiegend einheitlich, spricht man von einem Downburst. Letzteres ist im Radeburger Raum zum großen Teil der Fall gewesen. Mit wenigen lokalen Ausnahmen "zeigten" alle gefallenen Bäume von Ost über Südost nach Süd. Gesichert ist, daß das Unwetter aus einer gigantischen Superzelle kam. "Unter einer Superzelle versteht man ein langlebiges, kräftiges Gewitter, das in der Regel Rotation aufweist und sehr schwere Wettererscheinungen wie Hagel, Sturm und Tornados hervorbringen kann," schreibt Thomas Sävert auf seiner Webseite tornadoliste.de. Die Superzelle wurde auch, z.B. von Quersa aus, beobachtet. Auf den Bildern von Quersa sieht man sehr gut, wie sich eine Mauerwolke vorwärtsbewegt.

Eine Mauerwolke entsteht durch Absenkung einer Schauer- oder Gewitterwolke unter einen niederschlagsarmen Aufwindbereich. Sie markiert den Bereich mit dem kräftigsten Aufwind unter Superzellen und sind oft (nicht immer) Vorboten von Tornados.

Interessant scheint, was "Christian aus Bremen" im Wetterzentrale Forum schreibt:

"Wenn Dachziegel(teile) wie mit einer Schrotflinte in die Aussenwände einer Schule (Gymnasium Großenhain - d. Red.) geschossen werden, ein ganzes Dach um 100-150m verfrachtet wird (es gab noch wesentlich mehr davon) usw., dann ist das für mich ein starker Hinweis auf einen Tornado.

Eine Superzelle war's, und die lebte wohl 1h lang und 70-90km weit, also ein sehr heftiges Ding. Ob man jemals wird nachweisen können, dass es 1 Tornado über die ganze Zuglänge war... ich bezweifle das sehr. Es könnten auch mehrere gewesen sein, "gespawnt" von einer Superzelle, das ist ohne weiteres möglich. Dass damit heftige Downbursts, auch mikrobische, einhergehen... ist normal.

Eine Idee hätte ich, um das zu erklären (zu versuchen): da war nicht ein einziger Saugnapf von oben am Werk, der sie alle auf einmal ausgerupft hat, sondern es waren mehrere... Diese Dinger entstehen sehr plötzlich und man kann niemals vorhersagen, wo und wann sie entstehen; sie sind auf zahlreichen Videos aus den USA sehr gut dokumentiert. Darüber ist meist eine grosse Mesozyklone (eine rotierende Aufwindströmung - d. Red.) , die mal hier mal da saugt, ohne sich recht entschliessen zu können, wo es am besten wäre. Nicht selten entscheidet sie sich dann doch und man hat den typischen einzigen Rüssel, aber längst nicht alle Mesos tun das (s. Fujita)...

Das alles wird umso fieser, wenn der aus etlichen sporadischen Saugnäpfen bestehende Komplex sich hinter einer dichten Wand von Niederschlag verbirgt; die Amis nennen sowas 'the bear's cage'. In diesem speziellen Fall sieht man deshalb auf vielen Dokus eine massive, sehr tiefe hängende Mauerwolke, aber keinerlei Details darin; kein Wunder.

So kann es dann auch vorkommen, dass hier inmitten einer grösseren Zone starker Verwüstung ein Storchennest auf einem Baum samt seiner Insassen überlebt. So organisiert der ganze Komplex Superzelle ist, so chaotisch können die Vorgänge am Boden sein."

Ja. Das kommt dem wohl recht nahe, was wir gesehen haben.

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