Dienstag, den 20. August 2013 15:19 Alter: 6 Jahr(e)

Moritzburg: Hitzige Debatten nach tödlichem Unfall

Kategorie: Dresdener Land und Umgebung

VON: KLAUS KROEMKE

Am späten Nachmittag des 11. August kam es auf der Radeburger Straße (Staatsstraße S 80) zwischen Moritzburg und Berbisdorf zu einem tödlichen Zusammenstoß eines Motorradfahrers mit einem Pferdegespann. Seit dem gibt es hitzige Debatten, die vor allem im Internet für Dauerstreit sorgen.

Der Weg der Pferdekutsche bis zum verhängnisvollen Zusammenstoß ist als noch als Kreidespur von der Unfallaufnahme zu sehen.
Der Weg der Pferdekutsche bis zum verhängnisvollen Zusammenstoß ist als noch als Kreidespur von der Unfallaufnahme zu sehen.

Der Weg, den die Kutsche befuhr, ist als Wanderweg zwischen den beiden Moritzburger Schlössern ausgeschildert.
Der Weg, den die Kutsche befuhr, ist als Wanderweg zwischen den beiden Moritzburger Schlössern ausgeschildert.

Die Fakten:

Ein 26-jähriger Motorradfahrer aus Ebersbach fuhr mit seiner Maschine in zwei Pferde, die gerade eine Kutsche über die Straße zogen. An der Unfallstelle wird die Staatsstraße, auf der die Höchstgeschwindigkeit auf 60 km/h begrenzt ist, von einem Waldweg gequert, der als Wanderweg zwischen Schloss und Fasanenschlösschen ausgeschildert ist. Er ist durch das grün umrandete Verkehrzeichen „Waldweg – für Motorfahrzeuge und Gespanne gesperrt“ gekennzeichnet. Es existiert jedoch eine Vereinbarung des Wegeigentümers, des Staatsbetriebes Sachsenforst, der in Moritzburg registrierten Fuhrbetrieben die Benutzung dieses Weges gestattet. Der Motorradfahrer und ein Pferd waren sofort tot, das zweite Pferd wurde schwer verletzt und musste erschossen werden. Der 67 Jahre alte Kutscher, der für den Moritzburger Fuhrbetrieb Bernd Haase arbeitet, erlitt einen Schock. In der Kutsche saß eine Familie mit drei Kindern. Dass der vorfahrtberechtigte Motorradfahrer zu schnell unterwegs war, wird durch Zeugenaussagen erhärtet, so dass mindestens von einer Mitschuld des getöteten Motorradfahrers auszugehen ist. Die Ermittlungen zum Unfallhergang sind noch nicht abgeschlossen.


Kommentar: 

Trauern und zu Besonnenheit zurückfinden

Eigentlich sollte hier ein Artikel stehen, der sich mit dem lästigen Thema „Pferdeäpfel“ befassen sollte, das aus der Welt zu schaffen Bürgermeister Hänisch vor einigen Tagen angekündigt hatte. Obwohl die an Moritzburger Standplätzen angemeldeten Gespanne mit vielleicht 20 Pferden nur einen Teil der Tiere stellen, die im „Pferdefreundlichen Ort Moritzburg“ unterwegs sind, gelten sie als Hauptverursacher und waren deshalb auch der öffentlichen Kritik und sogar Anfeindungen ausgesetzt. Dass Moritzburg nicht länger als „beschissenstes Dorf Deutschlands“ betitelt wird, wie es in dem Facebook-Blog „Moritzburger Pferdeäpfel“ rüberkommt, dafür gibt es berichtenswerte Ansätze.

Doch nun drängte ein anderes Thema im Zusammenhang mit den Pferdekutschen in den Vordergrund: der Unfall vom vorletzten Sonntag. Der Unfall scheint Hardlinern jeder Coleur Anlass zu sein, auf dem Rücken der Unfallopfer ihre bigotten Ansichten zu transportieren. Die einen, wie die Tierschutzorganisation PETA, wollen Pferdekutschen ganz verbieten, andere stigmatisieren „alle Motorradfahrer“. In der Presse und, geradezu massenhaft, in Internetforen offenbaren Menschen, die man zum Teil kennt, bizarre Denkwiesen.

Ein Timo K. schreibt auf Facebook: „2 Pferde SIND mehr wert als Motorradfahrer, die meinen so schnell und riskant fahren zu müssen wie sie wollen! So tragisch es auch ist: Dank des Unfalls gibt es einen Verrückten weniger der ALLE Verkehrsteilnehmer gefährdet.“ Ein DNN-Redakteur überschreibt einen Blog zum Thema mit der Überschrift „Massaker in Moritzburg“. Martin EsPunkt auf Facebook findet: „Für mich sind 99% der Motorradfahrer Raser...Hätte ich 150PS unterm Hintern, die mich in 5 Sekunden auf 200km/h beschleunigen, wäre ich sicher nicht anders.“ Gemeinderat Andreas Timmler wird mit den Worten zitiert: „Sie werden hier kaum jemanden finden, der um den Motorradfahrer trauert. Den Moritzburgern tun vor allem die Pferde und Bernd Haase leid.“ (SZ vom 17.08.13) Das kommt so missverständlich rüber, dass eine Welle der Empörung ausbricht, dokumentiert in vielen Internetforen.

Einige „Eiferer“ wurden sogar handgreiflich. Sie beseitigten ohne eine Spur des Respekts die Blumen, das Schild und die Kerzen, die Freunde des toten Motorradfahrers am Unfallort aufgestellt hatten und ersetzten diese durch ihre eigenen, vorverurteilenden „Andenken“. Heute gilt Konsens, dass jegliche Schöpfung lebens- und schützenswert ist und unseren Respekt verdient. Das kann aber im Umkehrschluss nicht heißen, dass das Leben eines Menschen weniger Wert ist, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass er die alleinige Schuld an diesem Unfall trägt oder durch sein Fahrverhalten den Tod anderer billigend in Kauf genommen hat. Einst galt das Leben des Menschen als das höchste Gut und de jure ist das wohl noch immer so: Das Unfallopfer ist Ralf N. aus Ebersbach.

„Dass man die Pferdeleben über das des getöteten Motorradfahrers stellt, geht gar nicht,“ stellt Andreas Timmler klar und nennt den Vandalismus „pietätlos und geschmacklos“ (SZ 20.08.). Zeuge Joern H. ist ob der drastischen Äußerungen und Verhaltensweisen bestürzt: „Ich habe das 'Drama' am Wochenende mit eigenen Augen gesehen und bin schon erschrocken, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kutscher von ihrer Schuld ablenken. Die Kutsche fährt von einem Waldweg in eine Staatsstraße ein und verursacht dabei einen Unfall bei dem ein Mensch stirbt. Alleinige Schuld, und so kommt es ja in den letzten Artikeln raus, hat in den Augen der Kutscher und Pferdenarren der Motorradfahrer. Ich rate dringend das Gutachten zum Unfall abzuwarten. Ich bezweifel ernsthaft, ob die Geschwindigkeit des Motorrades wirklich so hoch war, wie behauptet.“

Ein guter Rat. Immerhin scheint die Vernunft nach ersten Emotionen zurückgekehrt zu sein und seit vergangenem Wochenende haben nun das Gedenken an den toten Menschen UND an die toten Tiere nebeneinander Platz. Wenn die dort Trauernden auch gänzlich unterschiedlicher Meinung sind, tolerieren sie sich jetzt wenigstens. So wie auf der Seite des Magazins der deutschen Pferdelobby „St.Georg“, in dem dann auch ein vernünftiger Pferdefreund zu dem Schluss kommt, sich von einseitigen Verurteilungen abzugrenzen: „Würdet ihr das auch sagen, wenn es sich um euren Sohn/Bruder/Vater handeln würde?! Schreckliche Motorradunfälle passieren leider immer wieder, natürlich oft durch leichtsinniges Fahrverhalten. Statt einer Kutsche hätten auch Radfahrer die Straße queren können, dann wären vermutlich noch mehr Menschen tot.“

Der Radeburger Maik M. schreibt auf Facebook: „Ist doch ein logischer Schluss, das auf einmal alle Pferdefreunde Partei für den Kutscher ergreifen und alle Biker natürlich für den Motorradfahrer.“ Im Prinzip stimmt das wohl. Das vorige Zitat zeigt jedoch, dass man auch als Lobbyist nicht unbedingt einseitige Schlüsse ziehen muss.

Ein René schrieb auf Facebook, er war Beifahrer in dem Fahrzeug, das „direkt vor dem Unfall als letztes von diesem verunglückten Kradfahrer überholt“ wurde. „Wir waren unmittelbar hinter ihm und mussten leider alles miterleben. Er war definitiv viel zu schnell gefahren (wir waren auch durch sein Überholvorgang erschrocken).“ Allerdings kommt sie auch noch zu einem anderen interessanten Schluss. Sie schätzt ein, dass die Stelle „sehr gefährlich“ ist, „da auf der kurzen Gerade am Ende eine Kuppe ist und der Waldweg, wo das Gespann die Straße querte, nicht zu sehen ist (aus Moritzburg kommend). Wir hätten ebenfalls bremsen müssen um ein Unfall zu vermeiden, denn der Kutscher kann die Gerade durch die Kuppe nicht weit genug einsehen. Trotz alledem wenn man sich an die vorgegeben Geschwindigkeit hält, kommt man ohne Probleme zum stehen bzw. kann die Geschwindigkeit so anpassen dass das Gespann die Straße sicher queren kann. (Sicht ab Kuppe ca. 150 - 200m bis Waldweg).“ Hinter der Kuppe ist die S 80 begradigt und aufgeschüttet, um einen Graben zu überqueren, der den Kanal mit dem Frauenteich verbindet. Das führt dazu, dass der Waldweg gut einen Meter tiefer liegt und eine Rampe zum Auffahren angeschüttet ist.

Der Kutscher muss hier anhalten, schauen, dann praktisch am Berg anfahren, was sicher schon nicht ganz einfach ist und er hat vielleicht auch erst volle Sicht auf die Straße, wenn die Pferde bereits auf die Fahrbahn treten. Außer mutmaßlichem Fehlverhalten muss die Staatsanwaltschaft auch solche Umstände würdigen, um zu einem abschließenden Urteil zu kommen.

Zu denen, die sich besonnen verhalten, zählt auch Fuhrunternehmer Bernd Haase, der verständlicherweise um seine Pferde trauert. Für ihn sind das Bella und Eddy. An Bella hing er besonders, denn als Lehrpferd hat sie anderen Pferden das Ziehen einer Kutsche beigebracht und wie man auf die Anweisungen des Kutschers reagiert. Ein besonders kluges und gutmütiges Tier, auf das er sehr stolz war. Bernd Haase könnte man eine unbeherrschte Äußerung am ehesten nachsehen, doch er sagt: „Glücklicherweise ist meinem Kutscher und den anderen Fahrgästen nichts passiert. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn das Motorrad nicht in die Pferde, sondern in die Kutsche gerast wäre.“ Vielleicht war es aber nicht nur Glück. In einigen Presseartikeln ist zu lesen, dass der Motorradfahrer auf die linke Fahrbahn „geraten“ sei und manche Leser sehen das als Zeichen für Kontrollverlust aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit.

Es kann auch so gewesen sein, dass er in den letzten Sekundenbruchteilen seines Lebens eben genau das noch versucht hat: nicht die auf der rechten Fahrbahn stehende Kutsche, den Kutscher und die Familie mit den drei Kindern zu treffen. Auch ich schließe mich da Bernd Haase an: das wäre die noch größere Katastrophe gewesen. Allen, die sich hier eine Meinung bilden wollen, sei ans Herz gelegt, wenigstens auch diese Möglichkeit ins Kalkül zu ziehen. Einfach aus Anstand. Das Thema Pferd und Kutschen ist auf eine tragische Weise in Moritzburg und Umgebung in den Fokus gerückt.

Der traurige Anlass sollte aber zu besonnenem Handeln führen. Es gibt leicht lösbare Aufgaben wie das Zurückschneiden von Sträuchern, die die Sicht versperren und kurzfristig können auch die von Fuhrunternehmer Axel Gürntke vorgeschlagenen Hinweisschilder, dass in Moritzburg Pferde und Kutschen unterwegs sind, Wirklichkeit werden. Schon seit Längerem sind Pläne zu einer veränderten Wegführung für Pferde und Kutschen und eine Entflechtung von anderen Nutzungsarten wie Wandern und Radfahren im Gespräch. Diese Dinge sind im Gange. So wird der Sachsenforst den Ausbau der Kleinen Fasanenstraße fortsetzen, über welche die Besucherströme weiter entflochten werden sollen. Aber das ist nicht von Heute auf Morgen erledigt. Ersthaft diskutiert wird seit einiger Zeit auch ein Zugang zum Wildgehege vom Kutschgeteich-Parkplatz aus, da ein Teil des Verkehrs auf der S80 das Wildgehege zum Ziel hat. Ein Parkplatzkonzept steht auf der Agenda des Bürgermeisters, das helfen soll, einen Großteil der wochenendlichen Blechlavine aus dem Ort herauszuhalten. Kutschen sollten dabei helfen, die Besucher an ihre Zielorte zu bringen.

Es gibt Möglichkeiten, Konflikte zwischen Anwohnern und Moritzburgbesuchern, Wanderern, Radfahrern, Reitern, Kutschen, Autos, Spaziergängern und auch Motorradfahrern weiter zu verringern, die aber ihre Zeit brauchen werden. Forderungen wie „Kutschenverbot“ oder „Tempo 30 in ganz Moritzburg“ sollte man in die Kategorie einordnen in die sie gehören: Aktionismus. Stanislaw Tillich sagte am vergangenen Sonnabend in Bärwalde, zwar in einem anderen Zusammenhang: „Wir meinen immer, Eigenverantwortung durch noch mehr staatliche Regulierung ersetzen zu können. Aber an erster Stelle steht die Eigenverantwortung.“ Das gilt nicht zuletzt für angepasstes und vorausschauendes Fahren – egal mit welchem Verkehrsmittel. Nicht von Ungefähr ist §1 der StVO §1 der StVO.


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