Samstag, den 27. November 2010 21:57 Alter: 9 Jahr(e)

Michael Ufert über die Vielfalt der Bildungswege in Sachen

Kategorie: Dresdener Land und Umgebung, Radeburg und Umgebung

VON: KLAUS KROEMKE

Michael Ufert, Schulleiter der Mittelschule Radeburg außerte sich in einem Interview im Radeburger Anzeuger positiv über die Vielfalt der Bildungswege in Sachsen.

(Auszug aus dem Interview des RAZ (http://www.dresden-land.de/raz/archiv/1008/raz.htm)

RAZ: Vor Kurzem haben sich die Bürger der Stadt Hamburg gegen längeres gemeinsames Lernen ausgesprochen. Sehr dafür hat sich der promovierte Psychologe Ludwig Bilz in der „Sächsischen Zeitung" ausgesprochen, Bildungs- und Gesundheitsforscher an der TU Dresden und Mitglied der Forschungsgruppe Schulevaluation. Aus Ihrer Erfahrung: ist das Schulsystem, das frühzeitig die Eliten in Gymnasien separiert und den „Rest" den Mittelschulen überlässt, ein Erfolgsmodell oder eher nicht?

Ufert: Die frühzeitige Entscheidung für das Gymnasium oder die Mittelschule bürdet die ganze Entscheidungsverantwortung den Eltern auf. Es ist allerdings ein großer Irrtum, dem viele Eltern unterliegen, dass ihren Kindern bei einer Entscheidung für die Mittelschule irgend etwas verbaut wird. Im Gegenteil. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es in jedem Fall kein Fehler ist, die Kinder in der Mittelschule lernen zu lassen. Auch der Weg zu einem späteren Studium bleibt offen. Es gibt sogar mehrere Wege.

RAZ: Die Forschungen von Bilz und Co. haben ergeben, dass bereits 40% aller Schüler an den Gymnasien Misserfolgserfahrungen gemacht haben. Leistungsdruck und Überforderung führen zu schweren psychischen und psychosomatischen Störungen bei den Kindern...

Ufert: Ja. Deshalb empfehlen wir allen Eltern die im Zweifel sind, sich unsere Mittelschule genau anzusehen. Etwa ein Drittel unserer Absolventen geht nach der 10 nicht in eine Lehre sondern auf dem Bildungsweg weiter. Ich möchte hier auf die beruflichen Schulzentren aufmerksam machen. Eigentlich gehören in die Elternabende der 4. Klassen nicht nur die Vertreter von Mittelschule und Gymnasium, sondern auch die Vertreter dieser Einrichtungen, denn den Eltern wird sonst suggeriert, es gäbe nur zwei Bildungswege. Absolventen der Mittelschulen können an den beruflichen Schulzentren ein Abitur mit Berufsorientierung machen oder ein so genanntes Fachabitur. Das Abitur mit Berufsorientierung dauert 13 Jahre, also ein Jahr länger. Doch die berufliche Vorprägung kann schon bei Studiengängen mit Numerus Clausus ein Vorteil sein, den die „normalen" Gymnasiasten nicht mitbringen.

Das Fachabitur dauert 12 Jahre, man erlangt eine Fachhochschulreife, das heißt, die Zulassung zum Fachhochschulstudium. Wer schon in der 10 weiß, dass er an einer FH studieren will, ist da natürlich bestens aufgehoben. Wir haben auch Schulabgänger, die nach der 10 erst einmal einen Beruf gelernt haben und nach der Lehre das Fachabitur gemacht und studiert haben, Einige Schüler gehen sogar zunächst für ein Jahr ins Ausland und kehren dann auf die Schulbank zurück.

Diese ehemaligen Schüler haben keine Jahre verloren, wie man vordergründig denken mag, denn sie haben aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung bessere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt.

Eltern sollten sich möglichst vorher überlegen: Kinder die vom Gymnasium zu uns zurückkehren, haben Erlebnisse des Versagens und des Scheiterns hinter sich. Manche werden damit fertig, manche nicht. Manche werden bei uns zu Spitzenschülern und Leistungsträgern, die sogar andere mitziehen, andere bleiben auch traumatisiert und wie man so schön sagt „schwierig". Die Zensurenmaßstäbe sind bei uns keine anderen als am Gymnasium. Aber im Gymnasium herrscht ein knallharter Wettbewerb. Wer nicht mitkommt, muss runter von der Schule. Wir aber dürfen und wollen auch keinen zurücklassen.

 

RAZ: Wie soll das gehen? Hat die Schule besondere Therapeuten?

Ufert: Dabei hilft uns unser Ganztagsangebot. Das darf man nicht als Sammelsurium von Angeboten zur nachmittäglichen Kinderbespaßung verstehen. Der Sinn liegt in Förderung und Forderung. Der Vorzug ist, dass sich Eltern Nachhilfe für ihre Kinder nicht teuer erkaufen müssen, sondern das die eigenen oder auch andere Lehrer der Schule die Nachhilfe kostenlos geben. Die Kinder zu uns zu geben ist also kein „Risiko". Im Gegenteil. Es ist die Vermeidung von Risiken.

Darüber hinaus bekommen die Kinder die Möglichkeit, sich auszuprobieren, ihre Neigungen, Begabungen und Talente zu entdecken. Dadurch haben sie bessere Voraussetzungen, sich später für den richtigen Beruf zu entscheiden - und selbst wenn jemand dabei nur sein Hobby entdeckt und das später weiterbetreibt, ist das eine Bereicherung.

Zu DDR-Zeiten gab es einen stellvertretenden Schulleiter für Außerunterrichtliche Tätigkeit, der sich um die Freizeitgestaltung nach dem Unterricht gekümmert hat. Den gibt es heute nicht mehr. Um diese Ganztagsangebote zusammenzustellen und zu koordinieren, das möchte ich auch noch sagen, ist eine Arbeitsgruppe von vier Kolleginnen und Kollegen gebildet worden, die das neben der eigentlichen Arbeit bewerkstelligt. Dies ist eine ausgesprochen komplizierte Aufgabe, weil man sich durch einen Berg von Vorschriften, Richtlinien und Formularen arbeiten muss, ehe ein Angebot steht, genehmigungsfähig ist und gefördert wird.


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