Freitag, den 01. März 2013 14:18 Alter: 7 Jahr(e)

Rabu-Aschermittwochgespräch

Kategorie: Radeburg und Umgebung

VON: klaus(at)kroemke.com

Alt-Bürgermeister in spé, Dieter Jesse, zieht im traditionellen Gespräch mit RAZ Bilanz zum 22. Amtsjubiläum

Dieter Jesse gab 20 mal den Rathausschlüssel ab - die nächste Schlüsselübergabe ist nicht an den RCC sondern an seinen Nachfolger.
Dieter Jesse gab 20 mal den Rathausschlüssel ab - die nächste Schlüsselübergabe ist nicht an den RCC sondern an seinen Nachfolger.

RAZ: Faschingsumzug nach 10 Jahren das erste Mal ohne MDR - was haben Sie gedacht, als das bekannt wurde?

Dieter Jesse: Schweinerei... Ne im Ernst. Statt zu streichen wegen gesunkener Zuschauerzahlen wäre mal gut gewesen, man hätte nach den Gründen gesucht. In den letzten zwei, drei Jahren ist die Qualität der Liveübertragung immer schlechter geworden. Es waren hektische Schnitte. Die Kommentatoren konnten kaum was erklären und auch die Reporterinnen waren ziemlich einfallslos mit ihren Fragen.

RAZ: Als Anja Köbel noch dabei war, hat man gespürt die kennt sich hier aus, die fragt nach. Die hat sich auch im Vorfeld mit dem Thema befasst und kennt die Gegend.

Dieter Jesse: Einige Umzugswagen haben den MDR auch schön aufs Korn genommen. Vielleicht haben sie mit so einer Reaktion nicht gerechnet und sie überdenken doch noch mal ihr Engagement. Es war diesmal wieder eine richtige Steigerung drin...

RAZ: … vielleicht war die Absage auch ein Schock, worauf sich alle besonders angestrengt haben.

Dieter Jesse: Die Gruppe Lösche war für mich diesmal klarer Favorit. Ich hab das ja von oben gesehen, die Giraffen und die Zebras – was die zu schleppen hatten – das war schon einmalig. Und die machen jedes Jahr wirklich immer wieder was Neues, von Grund auf. Also die haben es wirklich verdient.

RAZ: Und dann gab es leider den Fall Denise Sousa. Wir hatten eine aus der Welthochburg des Karnevals, aus Rio stammende Brasilianerin beim Umzug. Sie hat sich spontan, vermittelt über eine Freundin, den Freunden aus Weinböhla angeschlossen. Auf dem Heimweg gab es dann Streit und Weinböhlaer Teilnehmer wurden angeschuldigt...

Dieter Jesse: Dazu kann ich nichts sagen. Wenn ich der RCC wäre, ich würde mich da raus halten bis Ermittlungsergebnisse vorliegen.

RAZ: Der RCC hat das in einem Statement auch so erklärt, jegliche Vorverurteilung zurückgewiesen und betont, dass der Karneval eine vielfältige, bunte, offene Veranstaltung ist, mit über Tausend Aktiven und tausenden Zuschauern. Für Sie zu beobachten - zum letzten Mal mit dem Blick aus dem Rathausfenster – zumindest als Bürgermeister. Wie fühlt sich das an? Es kommen jetzt die Tage, wo Sie viele Dinge zum letzten Mal tun: Letzte Faschingssaison als Bürgermeister, am 11.11. schon letzte Schlüsselübergabe, letzte Weihnachtsmarkteröffnung, gestern letzte Entkrönung und Schlüsselrücknahme... Wie sehr schmerzt so was?

Dieter Jesse (nach einer kurzen Pause): Ich hab auch schon drüber nachgedacht. Es kommen ja dann auch die letzten Ausschutzsitzungen, die letzte Ratssitzung irgendwann... (Pause)

RAZ: Als wir bei der Entkrönungszeremonie auf der Bühne standen und Sie mit großem Applaus empfangen wurden, flüsterte mir ein Elferrat ins Ohr: „Weißt du noch, wie das mal angefangen hat?“ Ich wusste es noch. Es gab Pfiffe und Buhrufe, die der Verein und die Band geschickt wegmoderierten. Unser norddeutscher Bürgermeister wollte nicht so recht warm werden mit dem „Schunkelverein“. Wann kam es zum Sinneswandel, wie man so schön sagt?

Dieter Jesse: Hm. Das weiß ich gar nicht mehr so genau...

RAZ: Vielleicht mit dem DU-Angebot an die Elferräte. Danach war die Atmosphäre dann lockerer...

Dieter Jesse: Ja das kann gut sein. Mit dem Du hatte ich auch so meine Probleme. Nachdem ich den ersten Radeburgern das Du angeboten hatte, meinten die dann ein so besonderes Verhältnis zu mir zu haben, das ich ihnen helfe ihre Probleme aus dem Weg zu räumen. Danach war ich dann mit dem Du vorsichtiger...

RAZ: Aber beim RCC wurde es dann in der Hymne verewigt: „Wo sagt man zum Bürgi Du – in Ra in Rabu!“

Dieter Jesse (lächelt): Ich hab ja am Anfang gar nicht geahnt, was der Karneval hier für eine Bedeutung hat. Ich habe davon auch überhaupt nichts mitgekommen. Aus heutiger Sicht wundert man sich da vielleicht. Der Karneval lag, als ich anfing, noch ziemlich am Boden. Es war mein dritter Arbeitstag, also im März 1992. Am Rosenmontag ist mir nichts aufgefallen. Es war ein normaler Arbeitstag, die Leute gingen ihren Geschäften nach, ganz anders als heute. Da kam Bernd Klotsche zu mir und erklärte mir, wie bedeutend Fasching für Radeburg sei und dass ich am Dienstag in den Hirsch müsse, um den Rathausschlüssel zurück zu nehmen. Wir wollten uns 20 Uhr treffen. Ich war also um die Zeit im Deutschen Haus, aber Bernd Klotsche kam nicht. Nach einiger Zeit sah ich mich im hinteren Zimmer um. Da saßen Gertrud Görne, Manfred Heydan, Konrad Schäfer… Die winkten ab: Ach, die Schlüsselübergabe ist doch erst um Mitternacht! Ich sollte mich dazu setzen – der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und ich habe viel über die Geschichte des Radeburger Faschings erfahren. Bernd Klotsche fand ich dann im Hirsch. Er hatte in der Aufregung die Verabredung vergessen. An was ich mich noch gut erinnern kann: da war eine Hitze in dem Saal... Ich habe geschwitzt wie ein Sch****... Ansonsten habe ich wunschgemäß den Schlüssel zurückgenommen und der Sache weiter keine Bedeutung gegeben, denn außer auf dem Hirschsaal war nicht viel mehr zu sehen. Der Abglanz alter Zeiten. Dass der Fasching bald wieder so auf die Beine kommen würde, war für mich nicht abzusehen.

RAZ: Sie sind jetzt 21 Jahre Bürgermeister, also im 22. Jahr – auch noch eine närrische Zahl zum Abschluss. So etwas nennt man dann „Lebensleistung“. Von Anfang an wurde Ihre fachliche Kompetenz geschätzt geachtet und manchmal auch gefürchtet. Hätten Sie mit Ihrem Wissen nicht auch Landrat werden können oder ein hohes Amt im Freistaat anstreben können?

Dieter Jesse: Das war nie mein Ziel. Bürgermeister einer kleinen Gemeinde oder Stadt – das hat mich schon in jungen Jahren gereizt und so hatte ich mich um passende Stellen beworben. Unter anderem in Amrum. Und da bin ich aus heutiger Sicht froh, in Radeburg gelandet zu sein. Auf Amrum ist der Bürgermeister ehrenamtlich und es gibt einen Stadtdirektor. Dieser Posten wurde zum wiederholten Mal ausgeschrieben. Bald merkte ich, warum sich niemand dort lange hielt. Der Bürgermeister war zugleich der größte Unternehmer am Ort. Dessen Frau redete mir, ohne es zu merken, den Job regelrecht aus. Sie regte sich über den Vorgänger auf, dass der „jeden zweiten Tag inne Kneipe gehen“ würde. Da war sie bei mir gerade richtig. Und dann waren die selber heute auf diesem Empfang und morgen auf jenem. Das war nichts für mich. Da waren die Sachsen ganz anders. Die Freundlichkeit ist ja sprichwörtlich und so bin ich auch empfangen worden. Ich habe mich hier sofort wohlgefühlt.

RAZ: Sachsen sin aber och hehmdicksch...

Dieter Jesse: Hahaha... Was mich gestört hat, war nur, dass die Leute in alles was reingeheimnissen. Wenn man was gesagt hatte, dann wurde zurück gefragt: also wollen sie damit sagen, dass... Das wunderte mich und sagte dann immer zurück: Nein, ich meine das, was ich gesagt habe, wenn ich was anderes damit sagen wollte, hätte ich das auch anders gesagt.

RAZ: Wenn Sie die Zeitreise zurück in das Jahr 1992 machen und sich erinnern, wie Sie sich Ihren Job damals vorgestellt haben – unterscheidet sich das von dem, was sich wirklich entwickelt hat?

Dieter Jesse: Im Wesentlichen habe ich mir das schon so vorgestellt. Aber klar, wenn ich mich daran erinnere, wie wir damals skeptisch waren wegen der Grundstückspreise im Gewerbegebiet und der Herr Pfleger von der Bauland GmbH erzählte dann: „In drei Jahren ist das Gewerbegebiet voll“ – da habe ich das auch noch geglaubt. Wenn ich jetzt den Herrn Hübler höre, als Bürgermeister würde er Wirtschaftsförderung machen, dann frage ich mich, warum er das als Baulandmitarbeiter nicht gemacht hat. Da war er doch wesentlich näher dran. Wenn ich dann den Gerold Mann, den Bürgermeister von Klipphausen höre, der Grundstücke für 5 Euro verkauft und an große Unternehmen für einen Euro anbietet, was rechtlich fragwürdig ist und ich frage dann den Oberbürgermeister Wendsche von Radebeul, ob er das auch so machen würde und der bejat das, dann muss ich sagen: da kann ich hier nicht mithalten, denn das Land gehört mir nicht. Und dem Baulandnachfolger das Land für 20 € abzukaufen um es dann einem Großunternehmen für einen Euro weiter zu verkaufen, das kann ich nicht. Das ist Veruntreuung. Abwasser und Trinkwasser war ein großes Thema. Dass da was auf mich zukommt, hatte ich schon geahnt. Deshalb habe ich von Anfang an versucht, die Belastungen für die Bürger so gering wie möglich zu halten. Aus heutiger Sicht sind wir in Radeburg gut weggekommen. Wenn man vergleicht, was Moritzburger alles zahlen müssen. Trinkwasserbeiträge, Straßenausbaubeiträge... Und wenn man zurückdenkt, was man sich damals bei der Investition alles anhören musste. Bis hin zu Beleidigungen – für mich war das auszuhalten, aber meinen Eltern hat das Angst gemacht. Sie fühlten sich bedroht. Die Schmähschriften, die an der Bahnhofstraße angebracht wurden. Inzwischen ist das alles weg oder wenigstens verblichen (lächelt).

RAZ: Die vielen Gebietsreformen gehören sicher nicht unbedingt zu dem, was man erwarten konnte. Die Bevölkerung hat sich fast verdoppelt, die Fläche vervierfacht. Die Probleme der Nachbarn waren plötzlich unsere – Schulschließungen, Sanierungsbedarf bei Kindertages- und Sportstätten, schlechte Straßen, desolate Brücken...

Dieter Jesse: Enttäuscht war ich da von den Berbisdorfern, die, obwohl klar war, wohin die Reise geht, sich noch überreden ließen, sich mit Bärnsdorf und Volkersdorf zu Promnitztal zusammenzuschließen, weil man gemeinsam mehr Gewicht gegenüber Radeburg hätte. Was das für ein Unsinn war, sieht man daran, dass heute mehr Stadträte aus den Dörfern kommen als aus der Stadt selbst. Damals wollte man noch unbedingt Ortschaftsräte haben. Jetzt sind die Räte dankbar, nicht noch mehr belastet zu werden und niemand beschwert sich mehr. Im Gegenteil, die wahren Probleme haben wir galant untergeschoben bekommen und die kamen dann erst zum Vorschein: Abwasserkanäle gab es in Promnitztal nur, wo sie sich einfach bauen ließen, die Problemlagen hat man gleich uns überlassen. Den Anbau-Bewohnern hatte man eine Entschädigung versprochen, weil die ihren Kanal schon zu DDR-Zeiten gebaut hatten. Versprochen – aber die Lösung des Problems dann uns überlassen. Ich bin stolz auf unser Super-Abwassersystem, gerade wenn ich es mit den Verbänden in der Umgebung vergleiche. Am meisten ärgert es mich, und es ist für mich unverständlich, wenn Bürger Lösungen fordern, aber dann dazu nicht beitragen wollen oder unvernünftige Forderungen stellen, die ihnen dann selbst schaden. Beim gescheiterten Radwegprojekt zwischen Radeburg und Bärwalde zum Beispiel – da wollte ein Landwirt in den Gestattungsvertrag geschrieben haben, dass die Stadt dafür sorgt, dass auf einem Streifen 20 Meter neben dem Radweg sämtlicher Müll entfernt wird. Und was ist, wenn da Getreide steht? Da kriechen meine Bauhofleute um jeden Halm oder fahren das Getreide platt?

Oder bei der Heidebrücke in Großdittmannsdorf – um die nach dem Stand der Technik und entsprechend den Anforderungen des Hochwasserschutzes zu erneuern, müssen wir Grunderwerb tätigen, sonst ist das nicht möglich. Da werden von denen, die selbst betroffen sind, für Wiesenflächen Baulandpreise verlangt. Die Leute haben Vorstellungen... Die Konsequenz ist, dass nicht gebaut wird. Das Bauwerk soll 950 000 Euro kosten, die wir so nicht aufbringen können. Inzwischen gehen uns die bereitgestellten Fördermittel verloren und in zwei Jahren wird die Brücke gesperrt. Dann darf nur noch mit dem Pkw drüber gefahren werden und jeder muss seine Mülltonne an die Hauptstraße bringen oder kann seine Pakete oder Möbel auch vorn an der Straße abholen. Dasselbe Theater gab es bei der Idee, die Bärnsdorfer Hauptstraße mit einem Fußweg zu versehen. Da läuft die Oma mit dem Rollator oder die Mutti mit dem Kinderwagen lieber auf der Straße, wenn die 40-Tonner vorbeikrachen, als das mal jemand ein Stück Vorgarten zum Preis für eine Wiese hergibt. Nein, da sollen Baulandpreise gezahlt werden. Da wird dann lieber weiter gejammert.

RAZ: Man vergleicht Sie mit einem Kapitän, der sein Schiff in sicheren Gewässern hielt und Untiefen vermied. Radeburg wurde nie zu einer Costa Concordia, wie manch andere Städte und Gemeinden. Da kreidet Ihnen der eine oder andere aber fehlende Empathie an, etwas mehr zu tun als nur die Pflichtaufgaben. Immer wieder wurde gefordert, der Bürgermeister solle mehr für die Kultur, für den Tourismus und den Freizeitsport zu tun. Was halten Sie von solchen Vorwürfen?

Dieter Jesse: Was die Kultur angeht, da bin ich ein Banause, das gebe ich zu. Beim Tourismus frag ich mich, was man hier fördern will. Der Ort ist in zwei Tagen abgegrast. Wie will ich Leute für fünf Tage hierher kiegen?

RAZ: Beim Sport sieht das etwas anders aus. Die Handballer würden Sie auf Händen tragen – die Fußballer sind leicht angesäuert, wenn man auf ihre Sportstätte zu sprechen kommt...

Dieter Jesse: Dank ist aber auch was kurzlebiges. Wir haben am Meißner Berg eine schöne Halle hin gebaut. Jetzt kommt der Herr Arndt und sagt, wir müssten die erweitern, weil nicht mehr alle Zuschauer Platz finden. Die spielen jetzt in der Verbandsliga und vielleicht noch in der Oberliga. Weiß ich, ob das in 10 Jahren noch so ist? Dann ist der Enthusiasmus verflogen und wir zahlen immer noch die Investition ab. Gerade mal fünf Spieler sind aus Radeburg. Für wen macht man das denn?

RAZ: Naja, es sind schon paar mehr, die sich als Einheimische fühlen, die aus der Umgebung sind, z.B. in Radeburg zur Schule gegangen sind. Die Handballer haben ein langfristiges Konzept und wollen durch Nachwuchsarbeit erreichen, dass in der Ersten mal 14, 15 Radeburger spielen. Und selbst wenn man sich die jetzige erste wegdenkt – in der Zweiten spielen nur Radeburger und auch höherklassiger als früher die erste.

Dieter Jesse: Aber was erzählen mir dann die Fußballer... Ich weiß noch ganz genau, wie Hantsch und Piesocke Anfang der Neunziger gekommen sind mit einem tollen Entwurf von einem Architekten von Otto Quast. Die wollten die tollste Sanitäranlage hin bauen für ganz kleines Geld, um die uns der ganze Landkreis beneidet. Ich hatte mich darauf eingelassen und dann wurde das Projekt teuer wie ein Einfamilienhaus. Bis heute streiten wir uns, ob die Schimmelbildung an der Fehlplanung liegt oder daran, dass nicht ordentlich gelüftet wird. Alle Gutachten sprechen für Letzteres. Die Teams die dort duschen, machen sich eben nicht die Mühe, so gründlich zu lüften, wie das notwendig ist. Trotzdem tritt man mit Forderungen an uns ran, obwohl das Gebäude relativ neu ist. Dann kommen auch Pläne auf den Tisch, das Sportkasino auszubauen, mit einer Dachterrasse. Da frag ich mich, was man sich dabei denkt – gegenüber vom Hartplatz so eine Vip-Loge, wenn der Rasenplatz wo ganz anders ist. Da setzt sich doch keiner hin. Selbst wenn die Kinder spielen. Da wollen doch die Eltern ganz nah dran sein und setzen sich nicht da oben hin.

RAZ: Welche Probleme hätten Sie gern noch gelöst, schaffen das aber jetzt nicht mehr?

Dieter Jesse: Ja. Da gibt es schon ein paar Sachen – wie die Heidebrücke in Großdittmannsdorf eben. In der Turnhalle Mittelschule müsste das Parkett dringend erneuert werden. Wir haben aber momentan das Geld nicht. Das Gleiche gilt für den Sportplatz an der Grundschule. Für die Bibliothek läuft die kostenlose Nutzungsvereinbarung mit dem Eigentümer 2014 aus. Da bleibt nun auch meinem Nachfolger überlassen, eine Lösung zu finden. Ganz besonders dringend wäre eine Investition ins betreute Wohnen. Hier ist die Nachfrage ein Vielfaches höher als das derzeitige Angebot. Das ehemalige Polyzentrum wäre ein idealer Standort dafür. Uns liegt eine Grobplanung für eine Investition von 1,8 Mio Euro für 22 weitere Wohnungen für Senioren am Standort Moritz vor. Es sind kurze Wege zum Einkaufen, zu den Ärzten und zur Physiotherapie – also für Senioren ideal. Vielleicht lässt sich durch Flächentausch auch noch eine Verbindung zum ehemaligen Polyzentrum schaffen. Ein anderer idealer Standort für betreutes Wohnen oder Mehrgenerationenwohnen wäre das Rittergut am Hofwall. Hier ist die Bundesvermögensverwaltung Eigentümer und verlangt viel zu viel Geld für das Grundstück. Mir ist es nicht gelungen, hier einen günstigeren Verkaufspreis zu verhandeln.

RAZ: Werden Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin einen Rat mit auf den Weg geben?

Dieter Jesse: Wenn man mich fragt, sehr gerne. Ansonsten werde ich das Rathaus nicht mehr betreten, außer z.B. um einen Ausweis abzuholen. Ich kenn da einen Fall von einem Kollegen, der sich beschwert, dass sein Nachfolger ihn gar nicht fragt. Der Nachfolger wieder beschwert sich, dass der Exbürgermeister immer noch im Rathaus ein- und ausgeht, die Mitarbeiter von der Arbeit abhält, sich aber dann noch nicht mal beim Amtsinhaber blicken lässt. Nein. So was werde ich nicht machen. Wenn es konkrete Fragen gibt helfe ich aber sehr gerne.

RAZ: Haben Sie einen Favoriten oder eine Favoritin? Wen sähen Sie am liebsten auf Ihrem Platz?

Dieter Jesse: Ja. Frau Kretzschmer. Sie hat die gleiche Ausbildung wie ich, hat den mittleren und gehobenen Dienst in der öffentlichen Verwaltung absolviert wie ich und dürfte deshalb das Wissen und die nötige berufliche Erfahrung haben um das Amt auszufüllen.

RAZ: Frau Kretzschmers Einführung in Radeburg stand nicht gerade unter einem guten Stern. Wir tun zwar so als sei sie schon nominiert. Sie ist es aber noch nicht. Die CDU-Stadtratsfraktion hatte sich mit den andern Fraktionen, außer der URL, auf sie als gemeinsamen Kandidaten zwar schon geeinigt...

Dieter Jesse: Da wurde mir doch tatsächlich unterstellt, ich hätte Einfluss auf die Kandidatenliste genommen. Da hat sich die Rechtsaufsicht gemeldet. Am 25. Februar tagt der Wahlausschuss aber erst. Ich wurde nur gebeten, ein informelles Gespräch der Fraktionen zu moderieren, die sich auf einen Kandidaten einigen wollten.

RAZ: Der CDU-Ortsverband hatte doch aber noch gar keinen Kandidaten rechtskräftig nominiert?

Dieter Jesse: Die Fraktionen wollten, dass die CDU als stärkste Fraktion einen Bewerber aufstellt, auf den man sich vorher einigt. Deshalb haben sich alle Bewerber auch vorgestellt. Außer Frau Ritter, die von vorne herein gesagt hat, dass sie unabhängig antreten will. Am Ende waren sich alle außer die URL, einig, dass es Frau Kretzschmer sein soll. Das ist alles legitim. Das hat die Rechtsaufsicht dann auch bestätigt.

RAZ: Aber mit den Pannen ging es weiter. Aufgrund fehlerhafter Einladung an die Mitglieder des CDU-Ortsverbandes war dann die Nominierung nicht rechtskräftig. Theoretisch kann es sogar sein, die Mehrheit des Ortsverbandes votiert z.B. für Frank Jüngling, der sich auch um dieses Mandat beworben hatte.

Dieter Jesse: Frank Jüngling hat nach der Vorstellungsrunde zurückgezogen und das finde ich auch vernünftig. Das Bürgermeisteramt ist ein harter Job, den macht man nicht mal eben so, wenn man pensionierter Bundeswehrsoldat ist. Das ist keine Aufgabe für jemanden, der im Ruhestand ist und noch etwas Beschäftigung nebenbei sucht. Ich glaube, das hat er inzwischen auch eingesehen. RAZ. Aber noch mal zu Frau Kretzschmer. Sie wurde von Christian Damme auf der närrischen Kandidatenkür während des Narrengerichts präsentiert, was nicht wenige Teilnehmer gestört hat, denn hier wurde die närrische Bühne zu einer todernsten politischen Bühne gemacht. Das widerspricht dem Grundsatz des RCC, unpolitisch zu sein. RCC: Ja, also das fand ich auch nicht gut. So was vermischt man nicht. Das hätte ich an Stelle von Christian Damme nicht gemacht. Es ist ja in Ordnung, dass er sie mitbringt und sie mit den Treiben hier vertraut macht. Aber dass sie dann auf die Bühne geht und sich dort als Kandidat neben den anderen Narren vorstellt... Da hätte man auch vorher mal den Verein fragen können, ob das überhaupt gewollt ist.

RAZ: Olaf Häßlich bestätigt, dass es so eine Anfrage an ihn sogar gegeben hat und betont: „Ich habe dazu ganz klar NEIN gesagt.“ Um so mehr ist man da beim RCC jetzt verärgert.

Dieter Jesse: Naja. Vielleicht ist genau das dann was fürs Narrengericht im nächsten Jahr.

RAZ: Seit der Gemeindegebietsreform ist Andreas Hübler praktisch ihr Dauerrivale. Nach der Zwangsvereinigung mit den Nachbardörfern war er vor allem der Wortführer der sich benachteiligt fühlenden Dörfer, wurde dann Sprecher der CDU-Fraktion und kollidierte dann immer öfter mit Christian Damme (CDU), der über die gesamte Zeit Ihr Stellvertreter war. Weil es ihm mehrfach nicht gelang, mit Hilfe der CDU-Mehrheit Anträge gegen den Widerstand der Verwaltung durchzubringen, gründeten er und seine Anhänger die Unabhängige Liste Radeburg (ULR). Nun könnte er es im zweiten Anlauf auf den Bürgermeistersessel schaffen. Er sieht Unzufriedene und vor allem die Dörfer hinter sich. Dazu könnten Radeburger kommen, die bei ihm die meiste Sachkenntnis vor Ort und ein gut ausgebautes Netzwerk sehen. Er ist lange genug in Radeburg dabei, war zudem schon vier Jahre ehrenamtlicher Bürgermeister in Bärnsdorf, ist seit 1990 durchgehend Gemeinde- bzw. Stadtrat und seit 1998 ununterbrochen im Kreistag...

Dieter Jesse: Ob Dienstzeiten als Gemeinderat und Kreisrat oder als ehrenamtlicher Dorfbürgermeister wirklich so vergleichbar sind mit dem Arbeitsanfall als Bürgermeister einer Stadt wage ich zu bezweifeln.

RAZ: Können sie sich Andreas Hübler trotzdem auf Ihrem Sessel vorstellen?

Dieter Jesse: Freuen würde es mich nicht und es würde sicher für alle nicht leicht... Auf sein Wort kann man sich nicht verlassen. Nach der letzten Wahl hat er gesagt, dass er nicht wieder antritt und dass dann jemand jüngeres antreten sollte. Und seiner Frau tut er damit auch keinen Gefallen. Als Bürgermeister von Radeburg ist man eigentlich Vorsitzender des Abwasserverbandes. Seine Frau kann als Angehörige dann nicht mehr Geschäftsführerin sein. Im Kreistag agiert er als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU – in Radeburg tritt er der CDU in den Hintern und macht eine eigene Fraktion auf. Und wenn ich dann jemanden aus der Kreis-CDU frage. Wieso macht ihr ihn zum stellvertetenden Fraktionsvorsitzen?

Dann sagt man mir: „Ja der ist aber so fleißig und andere wollten es nicht machen“. Den Fleiß haben wir hier auch ständig zu spüren bekommen – mit undurchdachten Anträgen und über Nacht meterlangen E-Mail. Wenn der hier die Verwaltung, den Rat und die Ausschüsse auch so beschäftigt, dann werden die bald nicht mehr zu ihrer Arbeit kommen. Als er Dorfbürgermeister war, haben die im Gemeinderat um Sieben angefangen und haben halb Elf immer noch getagt.

RAZ: Die Dritte im Bunde ist Michaela Ritter, die sich bewusst ohne Rückendeckung einer Partei oder Fraktion ins Rennen begab. Sie wohnt in Radeburg, kennt die Gegend von Kindesbeinen an. Sie beide kennen sich mindestens über den Dresdner Heidebogen. Als Schatzmeister des Heidebogen-Vereins trafen Sie regelmäßig die Regionalmanagerin des Vereins. Sie geht bei Bürgermeistern der Region zwischen Großenhain, Kamenz und Dresden ein und aus, wird als Expertin für Fördermittelbeschaffung von Ihren Kollegen geschätzt. Neben ihrer beruflichen Tätigkeit hat sie das Diplom eines Verwaltungs-Betriebswirts erworben, also den gleichen Abschluss wie Sie...

Dieter Jesse: Nach dem Abschluss habe ich eine Laufbahn in der Verwaltung eingeschlagen. Das fehlt ihr derzeit noch. Ansonsten: Frau Ritter schätze ich sehr. Sie hat ein großes Fachwissen und macht ihre Arbeit im Dresdner Heidebogen sehr kompetent. Da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Die Zusammenarbeit, zum Beispiel wenn es um ILE-Gelder für Projekte in Radeburg ging, war immer vorbildlich. Sie hat jetzt die Qualifikation. Wenn sie noch ein paar Jahre Erfahrung in der Verwaltung sammelt, sehe ich sie durchaus auch als Bürgermeister – vielleicht nicht in Radeburg, aber es gehen ja in den nächsten Jahren auch andere Kollegen in den Ruhestand. Die Wahl wird interessant. Hoffen wir, dass sich das in einer hohen Wahlbeteiligung niederschlägt.

RAZ: Zählen Sie schon die Tage?

Dieter Jesse (lacht): Nein. Ich bleibe hier jetzt so lange, bis es einen neuen Bürgermeister gibt. Das kann im günstigsten Fall der 15. April sein, im ungünstigeren Fall – mit einem 2. Wahlgang – ca. 30. Mai und im noch ungünstigeren Fall, wenn jemand Einspruch gegen die Wahl einlegt, so lange, bis dem Widerspruch entweder abgeholfen ist oder neu gewählt worden ist und auch da wieder mit den gleichen Spielräumen. Also dazu mache ich mir nicht wirklich Gedanken. Das bringt nichts.

RAZ: Meine traditionelle Abschlussfrage: Was hätten Sie gerne, das ich noch gefragt hätte?

Dieter Jesse: Die Frage nach meiner feierlichen Verabschiedung. Also manche machen ja so was, aber das wird es bei mir nicht geben. Ich werde weder städtisches noch eigenes Geld dafür ausgeben, um über die Stränge zu schlagen. Ich habe meine Arbeit gemacht. Die ist gut bezahlt worden. Ich hoffe, ich habe sie gut gemacht. Ich bedanke mich herzlich bei allen Mitarbeitern, den Stadträten, Fraktionsmitgliedern und allen anderen Partnern für die gute Zusammenarbeit. Ich denke, mehr ist dazu nicht zu sagen.

RAZ: Landrat Arndt Steinbach würde gern mit dem Bürgermeisterchor für Sie singen...

Dieter Jesse (lacht): Ja, er hat zu mir gesagt, ich soll doch wenigstens einen Stehempfang machen. Wo ja gerade das Stehen mein größtes Problem ist. Deswegen bin ich schon zu den Empfängen der anderen Bürgermeister nicht gegangen. Da kann ich jetzt nicht erwarten, dass die zu mir kommen.

RAZ: Dann bleibt mir nur zu wünschen, dass Sie die verbleibenden Tage halbwegs gesund bleiben – und natürlich auch Gesundheit für die Zeit danach, kann man immer gebrauchen. Ich bin schon gespannt ob die Tradition des Aschermittwochgesprächs auch mit dem Nachfolger fortgeführt wird.


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